Rente mit 80?

 

Der demographische Wandel und der damit verbundene Lernprozess, der plötzlich in Politik und Gesellschaft einsetzt, geben Anlass zu der Entwicklung verschiedenster Modelle, Gedanken und Auseinandersetzungen mit einem Thema, das in unserem Jahrhundert an Bedeutung gewinnt, bzw. in den Mittelpunkt rückt: Das Alter.

Vielleicht geht es Ihnen ähnlich; bis vor kurzem hatte ich den Eindruck, dass Menschen ab 50 am besten auf eine einsame Insel flüchten, bzw, geschickt werden sollten. Damit wäre ein bedrohliches Problem, nämlich die Überalterung als Schreckgespenst, aus der westlichen Welt entfernt. In der Realität aber geschehen schon seltsame Dinge: Es gibt tatsächlich Unternehmen, die ihre Fachleute aus Frühverrentung und Vorruhestand (übrigens ein Vokabular, welches erst im vergangenen Jahrhundert erfunden wurde) zurück an den Arbeitsplatz holen. Dass Expertenwissen verschwindet, Ressourcen brach liegen  und Menschen  ihre verbleibende Freizeit bei Karstadt , MediaMarkt und in Shopping Moles verbringen – daran haben wir uns schon gewöhnt. Oder? Natürlich gibt es auch die Wissenshungrigen, die von der VHS bis zur Uni Plätze und Kurse belegen. Und es gibt die vielen ehrenamtlich Tätigen, die Zeit für Alte und Junge, Kranke und Bedürftige verschenken. Aber, dass es tatsächlich Menschen gibt, die ihre Fähigkeiten und das Know How eines erfolgreichen Berufslebens zur Erwerbstätigkeit nutzen wollen und auch dürfen und daran auch noch Spass und Erfüllung finden – das ist neu. Die  Festlegung des Renteneintritts, die von Bismark zu einer Zeit eingeführt wurde, in der kaum jemand das Rentenalter erreichte, ist für mein Verständnis für mündige und erwachsene Menschen im Jahr 2008 nicht zeitgemäß und willkürlich.Ich wünschte, jeder hätte die Chance und die Möglichkeit, das Ende seines Berufslebens selbst zu bestimmen. Utopie? In Interviews bedauern  80 – jährige Frauen aus der ehemaligen DDR , dass sie mit der Wende „zwangsverrentet“ wurden. Über 90 – jährige, die mit Humor und Verstand tätig sind, sich einbringen in unsere Gesellschaft, werden zur Zeit wie Zirkuspferde an die Rampe geführt (siehe Anne Will am 20.04.08). Das Alter ist die einzige Lebenszeit, die wir noch nicht erlebt haben, die wir fürchten, die wir uns schönreden und, die wir alle mit frischem Geist und kreativer Lebendigkeit erleben wollen. „Es gibt schon so etwas wie Materialermüdung“ sagt Klaus Staeck, der vor kurzem 70 wurde,  in einer Talkshow. Was ist daran besonders? Für meine Urgroßmutter war es normal, mit jedem Lebensjahr (sie wurde 98), etwas weniger beweglich, etwas weniger kräftig und ein wenig müder zu werden. „Das Alter ist so“ sagte sie. Ich habe zur Zeit ein Problem mit der Problematisierung des Lebens jenseits der Lebensmitte. Der Seniorenmarkt wächst rasant und jeder der über 70 – jährigen steht unter dem Druck, erfolgreich, fröhlich, lebendig, aktiv, gesund oder wie auch immer zu altern. Altern ist individuell, Altern ist kein Gruppenprozess, Altern benötigt auch keine Gruppentherapie. Alter ist Leben.

Was ich mir wünsche? Dass ich so alt werden kann, wie ich will und, wie es passiert: lebendig und kreativ,  gelassen und nachdenklich, neugierig und tätig, kraftvoll und mutig, ängstlich und müde. Und, dass ich Menschen an meiner Seite habe, dass ich wahrgenommen werde und, dass ich wahrnehmen kann.

Ich denke, an der Erfüllung des letzten Wunsches kann ich arbeiten, wenn ich jetzt nicht aufhöre anzufangen.

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